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Vertretung in Luxemburg
Presseartikel19. Februar 2022Vertretung in Luxembourg

Münchner Sicherheitskonferenz 2022

Munich Security Conference, Munich, 18-20/02/2022

"Es gilt das gesprochene Wort!"

Herr Botschafter Ischinger,

Herr Generalsekretär, lieber Jens,

Meine Damen und Herren,

unsere Union wurde gegründet, um Kriegen in Europa ein für alle Mal ein Ende zu setzen. Und heute schaut die Welt ungläubig zu, wie auf europäischem Boden die größten Truppenverbände seit den dunkelsten Tagen des Kalten Krieges zusammengezogen werden. Denn die Ereignisse dieser Tage könnten die gesamte internationale Ordnung verändern. Die Ukraine hat gerade 30 Jahre Unabhängigkeit gefeiert. Es gibt eine ganze Generation von Ukrainerinnen und Ukrainern, die in einem freien Land geboren und aufgewachsen sind. Sie sind Kinder der Demokratie. Aber nun sind sie Tag für Tag mit Aggression und Einmischung von außen konfrontiert. Einige von ihnen haben im Donbas-Krieg Verwandte oder Freunde verloren. Ihnen droht wieder die Wehrpflicht, in einem Krieg kämpfen zu müssen, den sie nicht wollen, den Moskau ihnen aber aufzwingen könnte. Dies bedeutet die Politik des Kremls in der Praxis. Angst zu schüren und das Ganze als Sicherheitsbedenken zu tarnen. 44 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainern zu verwehren, frei über ihre eigene Zukunft zu entscheiden. Einem freien Land das Recht auf Unabhängigkeit und Selbstbestimmung abzusprechen. Und die Konsequenzen dieses Konzepts gehen weit über die Ukraine hinaus.

Der Kreml versucht nicht nur, die gesamte europäische Sicherheitsarchitektur zu untergraben, die Grundsätze von Helsinki, die allen europäischen Ländern, auch Russland, mehr Sicherheit gebracht haben. Russland verstößt auch gegen die Charta der Vereinten Nationen. Dort heißt es, dass sich die Länder „jeder Androhung oder Anwendung von Gewalt, die gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtet ist, enthalten“. Das können wir nicht hinnehmen.

Wir stehen vor einem unverfrorenen Versuch, die Regeln unseres internationalen Systems neu zu schreiben. Man muss nur die jüngste Verlautbarung der russischen und chinesischen Führung lesen. Sie streben eine „neue Ära“ an, wie sie sagen, die die bestehende internationale Ordnung ablösen soll. Für sie steht das Recht des Stärkeren über der Rechtsstaatlichkeit, die Einschüchterung über der Selbstbestimmung, der Zwang über der Zusammenarbeit. Wir hoffen nach wie vor, dass Friede obsiegt und dass Diplomatie uns den Weg zu diesem Ziel ebnen wird.

Lassen Sie mich darauf eingehen, wie Europa dies unterstützen kann. Erstens: Wir sollten bereit sein, zu handeln. Wir – die EU und ihre transatlantischen Partner – arbeiten an einem robusten Paket finanzieller und wirtschaftlicher Sanktionen, auch in Sachen Energie und Spitzentechnologie. Wenn der Kreml einen Krieg anzettelt, wird das hohe Kosten und schwerwiegende Konsequenzen für Moskaus Wirtschaftsinteressen haben. Das riskante Denken des Kreml, das aus einem dunklen Gestern stammt, könnte Russland seine blühende Zukunft kosten.

Zweitens: Diversifizierung. Eine starke Europäische Union darf sich nicht von einem Energielieferanten abhängig machen, der auf unserem Kontinent einen Krieg vom Zaun brechen könnte. Gazprom versucht bewusst, so wenig wie möglich zu speichern und zu liefern, während die Preise und die Nachfrage in die Höhe schnellen. Ein seltsames Verhalten für ein Unternehmen. Wir müssen uns in beiden Bereichen breiter aufzustellen — bei unseren Lieferanten und bei unseren Energiequellen. Das haben wir bereits in Angriff genommen. Wir haben uns an unsere weltweiten Partner und Freunde gewandt. Und heute kann ich Ihnen mitteilen, dass – selbst bei einer völligen Unterbrechung der Gasversorgung durch Russland – wir diesen Winter auf der sicheren Seite sind. Und mittel- und langfristig setzen wir verstärkt auf erneuerbare Energien. Dadurch erhöht sich Europas strategische Unabhängigkeit in Bezug auf Energie.

Drittens: Unterstützung der Demokratie in der Ukraine. Seit nunmehr sieben Jahren versucht die russische Führung, die Ukraine zu destabilisieren. Hybride Kriegsführung, Cyberangriffe, Desinformation – wie immer man es nennen mag. Dennoch ist das Land jetzt stärker als vor sieben Jahren. Weil die Ukraine sich für den Weg der Demokratie und die Freundschaft zu anderen Demokratien entschieden hat. Denken Sie nur an die ukrainische Jugend, die postsowjetische Generation. Sie wissen, dass ihre Demokratie nicht perfekt ist. Aber sie ist ausbaufähig und wird von Jahr zu Jahr stärker. Das hebt sie deutlich von der Autokratie ab. Vor blühenden Demokratien haben Autokraten nämlich die größte Angst. Weil ihre Propaganda ins Leere geht, wenn die Bürgerinnen und Bürger durch die Berichterstattung unabhängiger Medien und den freien Austausch von Ideen eigene Stärke entwickeln. Weil freie Bürgerinnen und Bürger der Macht den Spiegel vorhalten. Weil Vertrauen und Zuversicht nachhaltiger sind als Kontrolle und Zwang. Und genau deshalb unterstützt Europa den Weg der Ukraine hin zur Demokratie. So wird die Ukraine zu einem besseren Land für die dort lebenden Menschen, und zu einem besseren Nachbarn sowohl für die Europäische Union als auch für Russland.

Mein vierter und letzter Punkt ist die Geschlossenheit. Seit Beginn dieser vom Kreml verursachten Krise stehen die Europäische Union und die transatlantische Gemeinschaft als enge Verbündete geschlossen zusammen. Wir unterstützen die Ukraine dabei, dem enormen Druck Moskaus standzuhalten. Als die russische Regierung versucht hat, uns wieder und wieder auseinanderzudividieren, haben wir mit einer Stimme und einer gemeinsamen Botschaft geantwortet. Dies haben wir auch Dir, lieber Jens, zu verdanken. Du hast uns immer wieder das vor Augen geführt, was uns verbindet. Du hast aufgezeigt, dass die Europäische Union und die NATO Seite an Seite stehen. Nicht nur, weil wir Schnittmengen bei Mitgliedern und Verbündeten haben. Sondern weil wir Werte teilen: Freiheit, Demokratie, Unabhängigkeit. Eben diese Werte, die in dieser Krise auf dem Spiel stehen.

Und daher macht es mich sehr stolz und glücklich, dass ich verkünden darf, dass Du der diesjährige Ewald-von-Kleist-Preisträger bist. Du hast in Deinem Leben zahlreiche Stationen durchlaufen, bevor Du Dein hohes Amt übernommen hast. In Deiner Jugend warst Du Vorsitzender der Jungsozialisten in Norwegen. Einer Organisation, die – damals – keineswegs als Unterstützerin der NATO bekannt war. Der junge Jens hat es durch seinen Charme und seine Führungsstärke geschafft, die norwegischen Jungsozialisten umzustimmen. Als Ministerpräsident Norwegens hattest Du, Jens, regelmäßig mit Russland zu tun. Und damals war Lawrow bereits Lawrow. Und dennoch hast Du mit Geschick jahrzehntelange Gebietsstreitigkeiten in der Barentssee gelöst.

Lieber Jens,

Du warst immer ein Mann des Dialogs und ein Verfechter der transatlantischen Bindung. In fast zehn Jahren an der Spitze der NATO hast Du Dich stets für diese einzigartige Allianz eingesetzt. Niemand hat sich für das transatlantische Bündnis mehr ins Zeug gelegt als Du. Unermüdlich hast Du uns zu einer engeren Einheit gedrängt. Deshalb verdient niemand den diesjährigen Ewald-von-Kleist-Preis mehr als Du.

Herzlichen Glückwunsch, lieber Jens.

Einzelheiten

Datum der Veröffentlichung
19. Februar 2022
Autor
Vertretung in Luxembourg