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Vertretung in Luxemburg
Presseartikel27. Februar 2023Vertretung in Luxembourg

Ein neues Vorgehen in Bezug auf das Protokoll zu Irland/Nordirland: grundsätzliche politische Einigung über den Windsor-Rahmen

Visit of Ursula von der Leyen, President of the European Commission, to the United Kingdom

Die Europäische Kommission und die Regierung des Vereinigten Königreichs haben heute eine grundsätzliche Einigung über den Windsor-Rahmen erzielt. Das Vorgehen beruht auf einem umfassenden Paket gemeinsamer Lösungen, mit denen die praktischen Herausforderungen, denen sich die Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen in Nordirland gegenübersehen, endgültig angegangen werden und ihnen auf Dauer Sicherheit und Berechenbarkeit geboten werden sollen.  

Die gemeinsamen Lösungen umfassen unter anderem neue Regelungen in den Bereichen Zoll, Agrarlebensmittel, Arzneimittel, Mehrwertsteuer und Verbrauchsteuern sowie spezifische Instrumente, mit denen sichergestellt werden soll, dass die Meinung der Bevölkerung Nordirlands zu spezifischen Fragen, die für die dortigen Gemeinschaften von besonderer Bedeutung sind, mehr Gehör findet. Diese neuen Regelungen stützen sich auf solide Schutzvorkehrungen zur Gewährleistung der Integrität des EU-Binnenmarkts, zu dem Nordirland einen einzigartigen Zugang hat.   

Die grundsätzliche politische Einigung, die heute erzielt wurde, ermöglicht es beiden Seiten, gestützt auf gegenseitiges Vertrauen und uneingeschränkte Zusammenarbeit ein neues Kapitel in unserer Partnerschaft aufzuschlagen, wodurch auch das Potenzial unserer Beziehung voll ausgeschöpft werden kann.

Präsidentin Ursula von der Leyen erklärte: „Der Windsor-Rahmen wurde durch echten politischen Willen und harte Arbeit ermöglicht, denen die Überzeugung zugrunde lag, dass die Interessen und Bedürfnisse der Menschen stets an erster Stelle stehen sollten. Die Unterstützung und der Schutz der mit dem Karfreitagsabkommen hart erkämpften Errungenschaften standen im Mittelpunkt unserer Bemühungen. Dank unseres Erfolgs können wir heute endgültige Lösungen vorschlagen, die den Menschen und Unternehmen in Nordirland zugutekommen und unseren Binnenmarkt schützen. Dies ermöglicht uns auch, eine bilaterale Beziehung aufzubauen, gleich engen Verbündeten, die einander in Krisenzeiten zur Seite stehen.“

Die gemeinsamen Lösungen, die im Rahmen des Austrittsabkommens gefunden wurden, beruhen auf folgenden Ausgangspunkten:

  • eine umfassende, bereichsübergreifende und endgültige Lösung, mit der praktische Schwierigkeiten bei der Anwendung des Protokolls angegangen werden;
  • ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Flexibilität beim Verkehr von Waren zur Endverwendung in Nordirland und wirksamen Garantien zum Schutz des EU-Binnenmarkts;
  • eine klare Unterscheidung zwischen Waren, bei denen die Gefahr besteht, dass sie in den EU-Binnenmarkt gelangen, und solchen, bei denen diese Gefahr nicht besteht.

Im gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen Bereich stellen die gemeinsamen Lösungen sicher, dass in den Supermarktregalen in Nordirland dieselben Lebensmittel verfügbar sind wie im übrigen Vereinigten Königreich. In der Praxis werden Agrarlebensmitteleinzelhandelswaren, die für den Endverbrauch in Nordirland bestimmt sind, mit minimalen Zertifizierungsanforderungen und Kontrollen aus Großbritannien verbracht werden können. Für diese Agrarlebensmitteleinzelhandelswaren, die für den Endverbrauch in Nordirland bestimmt sind, gelten die Gesundheitsstandards des Vereinigten Königreichs, während zum Schutz des EU-Binnenmarkts weiterhin die EU-Vorschriften für Pflanzen- und Tiergesundheit gelten. Diese Regelung steht im Einklang mit einer Reihe bestehender und neuer Schutzmaßnahmen; zudem werden schrittweise gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Kontrollen und diesbezügliche Kennzeichnungen eingeführt. Wenn diese Schutzmaßnahmen vollständig vorhanden sind, werden Nämlichkeitskontrollen auf nur 5 % reduziert. Bei einer Beschau wird ein risikobasierter und erkenntnisgestützter Ansatz verfolgt werden. Darüber hinaus wird das Reisen mit Heimtieren dank eines einfachen Heimtierreisedokuments, eines Mikrochips und einer Erklärung des Besitzers bzw. der Besitzerin, dass das Heimtier nicht in die EU reisen wird, einfach sein.

Neue Regelungen im Zollbereich beruhen auf einer erweiterten Regelung für vertrauenswürdige Händler, der sich Unternehmen in Großbritannien ebenfalls anschließen können. Für Waren, die von vertrauenswürdigen Händlern befördert werden und bei denen nicht die Gefahr besteht, dass sie in den EU-Binnenmarkt gelangen, werden die Verfahren und die Anmeldungen drastisch vereinfacht werden und es werden deutlich weniger Angaben gefordert werden. Es wurden erhebliche Erleichterungen für den Frachtverkehr und die Beförderung aller Arten von Paketen (Pakete zwischen Unternehmen, Pakete zwischen Unternehmen und Verbrauchern sowie Pakete, die einem Verbraucher von einem anderen Verbraucher zugesandt werden, wobei letztere vollständig von den wichtigsten Zollvorschriften ausgenommen waren) vereinbart. Diese neuen Lösungen beruhen insbesondere auf neuen Vereinbarungen über die gemeinsame Nutzung von Daten, die Risikobewertungen ermöglichen, auf deren Grundlage Kontrollen durchgeführt würden. Als Schutzmaßnahmen dienen ferner ein solides Genehmigungsverfahren und eine lückenlose Überwachung der Regelung für vertrauenswürdige Händler sowie eine verstärkte Marktüberwachung und Durchsetzung durch die Behörden des Vereinigten Königreichs. Für Waren, bei denen die Gefahr besteht, dass sie in den EU-Binnenmarkt gelangen, gelten uneingeschränkte Zollverfahren.

Es wurde auch eine dauerhafte Lösung gefunden, um sicherzustellen, dass die Menschen in Nordirland gleichzeitig und unter denselben Bedingungen wie die Menschen im übrigen Vereinigten Königreich Zugang zu allen Arzneimitteln, einschließlich neuartiger Arzneimittel, haben. Diese Lösung ergänzt die Lösung, die die EU im April 2022 für die Versorgung Nordirlands mit Generika verabschiedet hat. Diese neuen Regelungen werden durch neue Schutzmaßnahmen – insbesondere Kennzeichnungen – ermöglicht, mit denen gewährleistet werden soll, dass Arzneimittel nicht in den EU-Binnenmarkt gelangen.  

Ferner wurden neue Spielräume für bestimmte Mehrwertsteuer- und Verbrauchsteuervorschriften gefunden, die mit Maßnahmen zum Schutz der EU vor Betrugsrisiken oder potenziellen Wettbewerbsverzerrungen einhergehen. Diese Regelungen beinhalten die Möglichkeit, die MwSt-Sätze des Vereinigten Königreichs auf unbewegliche Vermögensgüter, bei denen kein Risiko besteht, dass sie in den EU-Binnenmarkt gelangen (z. B. eine Wärmepumpe für ein Haus), unter den EU-MwSt-Mindestsätzen festzusetzen. Eine Mehrwertsteuerbefreiungsregelung des Vereinigten Königreichs für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) gilt nun sowohl für Waren als auch für Dienstleistungen, sofern das Vereinigte Königreich den EU-Schwellenwert für die Größe von KMU einhält. Es besteht nun auch die Möglichkeit, alle alkoholischen Getränke nach ihrem Alkoholgehalt zu besteuern und ermäßigte Zollsätze für alkoholische Getränke festzulegen, wenn diese für den sofortigen Verzehr in Gaststätten in Nordirland bestimmt sind und die angewandten Sätze nicht unter den EU-Mindestzollsätzen liegen.

Was Governance betrifft, so wird die Meinung der Menschen und Interessenträger Nordirlands durch regelmäßigen Austausch auf jeder Ebene der Strukturen des Austrittsabkommens mehr Gehör finden. Es wird eine verstärkte Zusammenarbeit mit nordirischen Interessenträgern in Angelegenheiten im Zusammenhang mit dem Protokoll geben. Innerhalb der gemischten beratenden Arbeitsgruppe werden neue thematische Untergruppen eingerichtet. Ein neuer Notfallmechanismus – die „Stormont Brake“ – wird es der Regierung des Vereinigten Königreichs ermöglichen, auf Antrag von 30 Mitgliedern der Legislativversammlung in Nordirland die Anwendung geänderter oder ersetzender Bestimmungen des protokollbezogenen EU-Rechts, die erhebliche und dauerhafte Auswirkungen auf das tägliche Leben der dortigen Gemeinschaften haben können, einzustellen. Dieser Mechanismus soll unter den außergewöhnlichsten Umständen und als letztes Mittel im Zuge eines sehr genau definierten Verfahrens, das in einer einseitigen Erklärung des Vereinigten Königreichs festgelegt werden dürfte, ausgelöst werden können.

Der Gerichtshof der Europäischen Union ist weiterhin der einzige und letzte Schiedsrichter für das EU-Recht.

Mit den gemeinsamen Lösungen werden überdies Durchführungsprobleme im Zusammenhang mit Zollkontingenten für die sensibelsten Stahlkategorien angegangen und die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen klargestellt. 

Diese neuen Regelungen wurden im Rahmen des Austrittsabkommens getroffen, dessen integraler Bestandteil das Protokoll zu Irland/Nordirland ist. Innerhalb dieser im Voraus festgelegten rechtlichen Parameter wird mit einer Reihe gezielter Änderungen des Protokolls auf unvorhersehbare Umstände oder Mängel, die seit Beginn der Anwendung des Protokolls aufgetreten sind, endgültig reagiert. 

Nächste Schritte

Die Europäische Kommission und die Regierung des Vereinigten Königreichs werden im Rahmen ihrer jeweiligen Befugnisse die erforderlichen Schritte unternehmen, um die gemeinsamen Lösungen in rechtsverbindliche Instrumente umzusetzen und diese wiederum zügig und nach Treu und Glauben durchzuführen. Zu diesem Zweck wird in den kommenden Wochen auch eine Sitzung des Gemeinsamen Ausschusses der EU und des Vereinigten Königreichs im Rahmen des Austrittsabkommens unter dem gemeinsamen Vorsitz von Vizepräsident Maroš Šefčovič und dem Außenminister des Vereinigten Königreichs James Cleverly stattfinden. Die Kommission hat dem Rat heute Vorschläge für einen Standpunkt der Union unter anderem zu den auf dieser Sitzung zu fassenden Beschlüssen vorgelegt.

Darüber hinaus hat die Kommission heute Legislativvorschläge in den Bereichen gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen, Arzneimittel und Zollkontingente vorgelegt, die nun dem Europäischen Parlament und dem Rat übermittelt werden.

Die jeweiligen Rollen des Europäischen Parlaments und des Rates werden in vollem Umfang geachtet.

Die neuen Regelungen sind mit dem Gesetzentwurf über das Protokoll zu Nordirland nicht vereinbar. Die Kommission begrüßt, dass die Regierung des Vereinigten Königreichs das Verfahren im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf über das Protokoll zu Nordirland stoppt und es nicht weiterverfolgt, sodass es am Ende der Sitzungsperiode des Parlaments in die Zuständigkeit des Parlaments des Vereinigten Königreichs fällt. Nach der Umsetzung dieser Regelungen werden die Gründe für die laufenden Gerichtsverfahren der Kommission gegen das Vereinigte Königreich im Zusammenhang mit dem Protokoll zu Irland/Nordirland nicht mehr bestehen.    

Hintergrund

Das Protokoll zu Irland/Nordirland wurde als integraler Bestandteil des Austrittsabkommens von der EU und dem Vereinigten Königreich gemeinsam beschlossen und ratifiziert. Es ist seit dem 1. Februar 2020 in Kraft und hat völkerrechtliche Rechtswirkung. Ziel des Protokolls ist es, sämtliche Dimensionen des Karfreitagsabkommens (Abkommens von Belfast) sowie Frieden und Stabilität in Nordirland zu wahren, eine harte Grenze auf der irischen Insel zu vermeiden und die Integrität des EU-Binnenmarkts aufrechtzuerhalten.

Weitere Informationen

Erklärung von Präsidentin von der Leyen

Politische Erklärung

Memo

Factsheet

Rechtsvorschriften

Zitate

Die EU hat von Anfang an ein echtes Verständnis für die unerwarteten praktischen Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Protokolls vor Ort gezeigt. Die gemeinsamen Lösungen sind das Ergebnis des Durchhaltevermögens und der entschlossenen Bemühungen der Kommission und des Vereinigten Königreichs. Sie gewährleisten, dass das Protokoll allen Menschen in Nordirland zugutekommt, und sie wahren die Integrität des EU-Binnenmarkts. Außerdem helfen sie uns dabei, die Art von Zusammenarbeit mit dem Vereinigten Königreich aufzubauen, die wir in der heutigen Welt brauchen – d. h. eine dauerhafte, strategische und erfolgreiche Zusammenarbeit.

Vizepräsident Maroš Šefčovič - 27/02/2023

 

Der Windsor-Rahmen wurde durch echten politischen Willen und harte Arbeit ermöglicht, denen die Überzeugung zugrunde lag, dass die Interessen und Bedürfnisse der Menschen stets an erster Stelle stehen sollten. Die Unterstützung und der Schutz der mit dem Karfreitagsabkommen hart erkämpften Errungenschaften standen im Mittelpunkt unserer Bemühungen. Dank unseres Erfolgs können wir heute endgültige Lösungen vorschlagen, die den Menschen und Unternehmen in Nordirland zugutekommen und unseren Binnenmarkt schützen. Dies ermöglicht uns auch, eine bilaterale Beziehung aufzubauen, gleich engen Verbündeten, die einander in Krisenzeiten zur Seite stehen.

Präsidentin Ursula von der Leyen - 27/02/2023

Einzelheiten

Datum der Veröffentlichung
27. Februar 2023
Autor
Vertretung in Luxembourg