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Vertretung in Luxemburg
Erklärung12. Dezember 2022Vertretung in Luxembourg

Erklärung von Präsidentin von der Leyen zum Thema „REPowerEU: Ausblick auf die Gasversorgung der EU im Jahr 2023“

 REPowerEU: Ausblick auf die Gasversorgung der EU im Jahr 2023

Visit of Fatih Birol, Executive Director of the International Energy Agency, to the European Commission

Guten Tag,

ich freue mich sehr, Fatih Birol hier bei uns begrüßen zu dürfen. Wir haben ein sehr gutes Gespräch über die Energieaussichten für Europa und den Umgang mit den beispiellosen Verwerfungen geführt, die durch den schrecklichen Krieg Russlands verursacht wurden. Denn Russland hat seine Pipeline-Lieferungen um 80 % reduziert, wenn man die Zahlen vom September dieses Jahres mit dem September des vergangenen Jahres vergleicht. Wie wir alle wissen, hat dieser Rückgang des Pipelinegases zu einem beispiellosen Druck auf die globalen Energiemärkte geführt, was schwerwiegende Folgen für das Energiesystem Europas hat. Aber ich möchte betonen, dass wir trotz dieser enormen Kürzungen über die Runden gekommen sind und es uns gelungen ist, dem Erpressungsversuch standzuhalten. Wir haben gehandelt, und unser Handeln war erfolgreich. Vor sieben Monaten, im Mai, haben wir unsere Antwort auf den russischen Erpressungsversuch präsentiert, indem wir mit REPowerEU den Plan vorgelegt haben, die Nachfrage nach russischem Gas bis Ende dieses Jahres um zwei Drittel zu senken. Und wir haben diesen Vorschlag mit einem Investitionsplan im Umfang von bis zu 300 Mrd. EUR untermauert. Innerhalb weniger Monate haben wir den REPowerEU-Plan in viele verschiedene Legislativvorschläge und Maßnahmen vor Ort umgesetzt. Und ich denke, dass es sich lohnt, diese Maßnahmen einmal genauer zu betrachten. Im Wesentlichen haben wir in den vergangenen zehn Monaten zehn Maßnahmen ergriffen.

Die erste ist: Wir haben unsere Energieversorgung in enormem Umfang diversifiziert, weg von fossilen Brennstoffen aus Russland, weg von russischen Gaslieferungen und hin zu anderen, zuverlässigen und vertrauenswürdigen Lieferanten. Zweitens sparen wir Energie. Wie Sie alle wissen, haben wir uns zum Ziel gesetzt, die Gasnachfrage um 15 % zu senken. Den Daten vom Frühherbst zufolge sind wir auf einem guten Weg. Es ist gut, dass wir Energie sparen, und diese Bemühungen müssen wir fortsetzen. Der dritte Punkt lautet: Wir fördern den Ausbau erneuerbarer Energien. Im Gesamtjahr 2022 werden wir fast 50 Gigawatt an neuen Kapazitäten hinzugefügt haben – wobei sich die zusätzlichen Kapazitäten erneuerbarer Energien, hauptsächlich aus Wind- und Solarenergie, fast verdoppelt haben. Das ist für uns sehr wichtig, denn es ist nicht nur gut für den Planeten, sondern wir wissen natürlich auch, dass erneuerbare Energien bei uns vor Ort erzeugt werden, hier hochwertige Arbeitsplätze schaffen und unsere Unabhängigkeit und Versorgungssicherheit erhöhen.

Der vierte Punkt ist, dass wir in diesem Zusammenhang vorgeschlagen haben, die Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energien drastisch zu beschleunigen. Wir wissen, dass viele Projekte im Grunde startklar sind und nur noch auf die Genehmigung warten, die also schneller erfolgen muss. Daher haben wir einen Vorschlag zur Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens vorgelegt. Fünftens haben wir Mindestvorgaben für die Gasspeicherung eingeführt. Unsere Gasspeicher sind jetzt zu mehr als 90 % gefüllt, wir haben unser Ziel also übertroffen. Das ist sehr gut, und wir liegen deutlich über dem Durchschnitt der vorangegangenen fünf Jahre.

Der sechste Punkt betrifft die Solidarität. Wir haben Standardregelungen für Gaslieferungen zwischen Mitgliedstaaten vorgeschlagen, sofern noch keine Solidaritätsvereinbarungen bestehen, um sicherzustellen, dass das Gas im Falle eines Energienotstands dorthin fließt, wo es am dringendsten benötigt wird. Siebtens haben wir eine Plattform für die gemeinsame Beschaffung von Gas eingerichtet, um unsere Verhandlungsmacht zu erhöhen und bessere Preise zu erzielen. Meiner Ansicht nach ist es inakzeptabel, dass verschiedene Mitgliedstaaten einander auf dem Weltmarkt überbieten und damit die Preise in die Höhe treiben. Daher ist es wichtig, dass wir unsere Kräfte für die Verhandlungen auf globaler Ebene bündeln.

Achtens haben wir unsere Infrastruktur verbessert. Wir haben vier neue Verbindungsleitungen, die in diesem Jahr in Betrieb genommen wurden: die Ostsee-Pipeline, die Verbindungsleitung zwischen Polen und Litauen, die Verbindungsleitung zwischen Bulgarien und Griechenland und die Gasverbindungsleitung zwischen Polen und der Slowakei. Der neunte Punkt, den ich hervorheben möchte, ist die Tatsache, dass wir einen Rechtsrahmen geschaffen haben, der es den Mitgliedstaaten ermöglicht, Zufallsgewinne und überhöhte Gewinne von energieerzeugenden Unternehmen abzuschöpfen und mit diesem Geld finanziell schwächere Haushalte und betroffene Unternehmen gezielt zu unterstützen. Und schließlich lautet der zehnte Punkt: Wir haben einen Marktkorrekturmechanismus – auch „Preisobergrenze“ genannt – vorgeschlagen, um Gaspreisspitzen auf TTF-Ebene zu begrenzen.

Viele dieser Maßnahmen wurden verabschiedet, einige davon in Rekordgeschwindigkeit. Und es gibt viele Beispiele, die zeigen, dass die Transformation bereits beginnt, z. B. die massive und rasche Installation von Wärmepumpen in Polen. Dank all dieser Maßnahmen haben wir es geschafft, dass wir für diesen Winter auf der sicheren Seite sind. Der Erpressungsversuch Russlands ist gescheitert. Einige unserer Vorschläge werden jedoch noch erörtert, und diese sind für unsere Vorsorge im Energiebereich von entscheidender Bedeutung. Daher fordere ich den Rat auf, die Vorschläge rasch anzunehmen, denn die Vorbereitungen für den nächsten Winter 2023-2024 beginnen schon heute. Und da wir unser Augenmerk nunmehr auf den Winter 2023-2024 richten, freue ich mich sehr, lieber Fatih Birol, dass wir daran so intensiv gemeinsam gearbeitet haben. Vor einem Monat war Ihre Botschaft sehr klar, und Sie haben diese Botschaft mit Zahlen untermauert. Sie haben sehr deutlich gesagt, dass der kommende Winter eine noch größere Herausforderung darstellen wird. Und dass Europa seine Anstrengungen in mehreren Bereichen verstärken muss. Sie haben die Risiken beschrieben: Es könnte sein, dass Russland die verbleibenden Pipeline-Gaslieferungen komplett einstellt; China könnte die COVID-19-Beschränkungen aufheben, sodass die Energienachfrage auf dem Weltmarkt das Niveau von vor der Pandemie erreicht; und natürlich haben wir in diesem Jahr von einem außergewöhnlichen warmen Winter profitiert – auch das könnte im nächsten Jahr anders sein.

Aus Ihren Daten geht hervor, dass im nächsten Jahr trotz der Maßnahmen, die wir bereits beschlossen haben, noch eine Versorgungslücke von bis zu 30 Mrd. Kubikmeter Gas bestehen könnte. Die geplanten bzw. vorgeschlagenen Maßnahmen werden sicherlich einen Teil davon abdecken, aber es bedarf noch weiterer Anstrengungen. An dieser Stelle möchte ich auf einige Prioritäten eingehen, auf die wir uns konzentrieren müssen. Die erste ist natürlich die LNG-Versorgung. Ich bin zuversichtlich, dass wir uns im nächsten Jahr ähnliche Mengen an Flüssigerdgas sichern werden wie in diesem Jahr. Dieses Jahr haben wir bis zu 130 Mrd. Kubikmeter LNG erhalten. Um das zu erreichen, müssen wir natürlich die Kontakte zu unseren internationalen Partnern weiter intensivieren.

Zweitens ist es jetzt an der Zeit, die gemeinsame Beschaffung in die Tat umzusetzen. Nachdem wir die Energieplattform eingerichtet haben, müssen wir jetzt den gemeinsamen Beschaffungsmechanismus verwirklichen. Jeder Tag Verspätung kostet uns bares Geld. Wir führen bereits Gespräche mit den Mitgliedstaaten, Partnerländern und deren Unternehmen. Heute Abend werde ich dies beispielsweise mit dem norwegischen Ministerpräsidenten erörtern. Bis Ende März können wir die erste Ausschreibung für die Nachfragebündelung einleiten. Dafür brauchen wir jedoch eine Einigung über die Notverordnung, die wir am 18. Oktober vorgeschlagen haben, und zwar so schnell wie möglich.

Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass das größte Energie-Potenzial der Europäischen Union in unseren eigenen Händen liegt. Wir müssen beim Ausbau erneuerbarer Energien einen Gang höher schalten und beschleunigen. Wir müssen schnell sein und das große Rad drehen. Mit den richtigen politischen Maßnahmen können wir die Kapazitäten erneuerbarer Energien, die nächstes Jahr auf den Markt kommen, sogar verdoppeln. Und die Initiative hat heute mehr Rückenwind denn je. Im Jahr 2022 hatten wir in der Europäischen Union Rekordkapazitäten zur Erzeugung von Wind- und Solarenergie. Wir gehen davon aus, dass die Kapazitäten für erneuerbare Energien im kommenden Jahr noch weiter wachsen und etwa 12 Mrd. Kubikmeter Gas ersetzen werden. Und Sie zeigen uns mit Ihren zusätzlichen Maßnahmen, dass wir weitere 7,5 Mrd. Kubikmeter ersetzen können. Wenn wir also den Gesamtumfang betrachten: Effizienz, Einsparungen, gemeinsamer Einkauf, erneuerbare Energien – das könnte die Mischung sein, die wir im nächsten Jahr brauchen werden, um den Wegfall von Gas auszugleichen. Wir haben die notwendigen Maßnahmen vorgelegt. Unsere Vorschläge liegen nun auf dem Tisch.

Mein letzter Kommentar bezieht sich auf das Gesamtbild. Denn wenn wir das Gesamtbild betrachten, sehen wir auch, dass wir mehr öffentliche Investitionen in die Energiewende benötigen. Vor allem um die Wettbewerbsfähigkeit unserer europäischen Industrie im Bereich der Energiewende sicherzustellen, brauchen wir zusätzliche öffentliche Investitionen auf nationaler und europäischer Ebene. Sie wissen, dass wir kurzfristig vorschlagen werden, REPowerEU zu fördern. REPowerEU ist unser Instrument, der Rahmen für Investitionen in saubere Technologien. Und es ist Teil unserer Reaktion auf den Inflation Reduction Act der USA. Wir wissen aber auch, dass wir mittelfristig noch mehr tun müssen. Wir werden an der Einrichtung eines Souveränitätsfonds arbeiten, um sicherzustellen, dass Europa seine weltweite Spitzenposition auf dem Gebiet der sauberen Technologien behält. Wir müssen unsere Industrie jetzt in diesem Umfeld hoher Energiepreise dabei unterstützen, den Übergang zu erschwinglicher und sicherer grüner, sauberer Energie zu bewältigen. Daher werden wir diese Fördermittel benötigen.

Wir haben in diesem Jahr gute Arbeit geleistet, wir sehen die Fortschritte und haben viel erreicht. Wir wissen aber auch, dass unsere Arbeit erst dann getan ist, wenn Familien und Unternehmen in der Europäischen Union Zugang zu erschwinglicher, sicherer und sauberer Energie haben.

Herzlichen Dank!

Für weitere Informationen

IEA-Bericht: How the European Union can avoid natural gas shortages in 2023 

Einzelheiten

Datum der Veröffentlichung
12. Dezember 2022
Autor
Vertretung in Luxembourg