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Vertretung in Luxemburg
Presseartikel6. Dezember 2022Vertretung in LuxembourgLesedauer: 6 Min

Kommission rückt Rolle der Zivilgesellschaft in den Blickpunkt und betont erhöhten Bedarf zur Unterstützung von Einrichtungen zum Menschenrechtsschutz

Die Kommission hat heute ihren Jahresbericht über die Anwendung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union veröffentlicht.

Visit of Claire Bazy-Malaurie, President of the Venice Commission of the Council of Europe, to the European Commission

Die Kommission hat heute ihren Jahresbericht über die Anwendung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union veröffentlicht. In dem Bericht wird insbesondere beleuchtet, was die Mitgliedstaaten und die EU unternehmen, um Organisationen der Zivilgesellschaft und einschlägige Stellen wie staatliche Einrichtungen zur Gewährleistung von Menschenrechten, Gleichstellungsstellen und Bürgerbeauftragte zu unterstützen. Insgesamt zeigt der Bericht, dass die Arbeit der Organisationen der Zivilgesellschaft und der Organisationen im Bereich Grundrechteschutz zwar für die praktische Anwendung der Grundrechte-Charta von wesentlicher Bedeutung ist, dass jedoch in der gesamten EU mehr unternommen werden muss, um sie zu unterstützen, unter anderem durch bessere Rahmenbedingungen für ihre Tätigkeit.

Der Bericht im Einzelnen:

  • Die Rolle einschlägiger Einrichtungen in Staat und Zivilgesellschaft: im Bericht wird die Rolle dieser Institutionen für den Schutz und die Förderung von Grundrechten hervorgehoben, deren Arbeit insbesondere in Krisenzeiten Wirkung entfaltet. In diesem Jahr haben sie in Reaktion auf den Krieg in der Ukraine beispielsweise entscheidend dazu beigetragen, Desinformation zu bekämpfen, Unterstützung für Flüchtlinge zu mobilisieren, Gräueltaten zu dokumentieren und wichtige Informationen über die Bedürfnisse bestimmter Gruppen wie Frauen, Kinder, Menschen mit Behinderungen, LGBTIQ-Personen und Roma zu verbreiten.
  • Schutz dieser Organisationen: zahlreiche Mitgliedstaaten haben Maßnahmen ergriffen, um für private und staatliche Einrichtungen, die mit dem Schutz der Menschenrechte befasst sind, ein sicheres Umfeld zu schaffen. In jüngsten Jahren haben einige Mitgliedstaaten diese Unterstützung auch mittels nationaler Aktionspläne verbessert. Im vergangenen Jahr hat die Kommission mit einer Initiative zum Europäischen Rechtsakt zur Medienfreiheit, einer Empfehlung zur Sicherheit von Journalisten und einem Paket legislativer und nichtlegislativer Vorschläge gegen missbräuchliche Klagen („SLAPP“-Klagen) eine Reihe von Maßnahmen zur Verbesserung ihres Schutzes ergriffen. Der Schutz muss jedoch EU-übergreifend noch verbessert werden. Aus den Zahlen geht hervor, dass 61 % der Organisationen mit Hindernissen konfrontiert sind, die ihren „sicheren Raum“ einschränken, während 43 % mit verbalen (43 %) und körperlichen Angriffen (15 %) auch online (19 %), konfrontiert sind. Im jährlichen Bericht über die Rechtsstaatlichkeit wurden ferner Probleme im Zusammenhang mit den Registrierungs- und Betriebsanforderungen aufgezeigt.
  • Finanzierung von Menschenrechtsorganisationen: aus dem Bericht geht hervor, dass einige Mitgliedstaaten kürzlich ihre Unterstützung nicht zuletzt zwecks Abmilderung der Pandemiefolgen aufgestockt haben. Gleichzeitig stellt der Mangel an Finanzmitteln nach wie vor eine große Herausforderung für fast die Hälfte der Organisationen der Zivilgesellschaft dar, insbesondere für diejenigen, die sich für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sowie für Grundrechte im weiteren Sinne einsetzen. Aus dem EU-Haushalt für den Zeitraum 2021–2027 werden 1,55 Mrd. EUR für Projekte zum Schutz und zur Wahrung der Grundrechte bereitgestellt – der größte Betrag, der jemals aus dem EU-Haushalt bereitgestellt wurde. In den vergangenen beiden Jahren wurden fast 1500 Organisationen in allen Mitgliedstaaten mit insgesamt 131 Mio. EUR unterstützt, die im Bereich der Rechte und Werte der EU tätig sind.
  • Einbeziehung dieser Organisationen in die Politik: aus dem Bericht geht hervor, dass viele Mitgliedstaaten Zivilgesellschafts- und Menschenrechtseinrichtungen bei der Ausarbeitung von Gesetzesvorhaben hinzuziehen, beispielsweise im Rahmen öffentlicher Konsultationen. Es gibt mehrere Beispiele dafür, dass Mitgliedstaaten ständige Dialogkanäle wie spezielle Plattformen und Netze einrichten. Auf EU-Ebene sind zivilgesellschaftliche Akteure nach wie vor wichtige Partner bei der Vorbereitung von EU-Initiativen, und die Kommission hat mehrere Kanäle für den Dialog mit Fachleuten und zu bestimmten Themen mit speziellen Plattformen und Foren eröffnet. Gleichzeitig berichten Organisationen der Zivilgesellschaft und im Bereich des Menschenrechtsschutzes tätige Einrichtungen über verschiedene Hindernisse für ihre Einbeziehung auf nationaler Ebene, darunter einen eingeschränkten Zugang zu Dokumenten und Informationen sowie einen allgemeinen Mangel an zivilem Dialog. Die Agentur für Grundrechte stellt ferner fest, dass Minderheiten und schutzbedürftige Gruppen in der gesamten EU nicht ausreichend konsultiert werden.

Nächste Schritte

Die Kommission ermutigt andere EU-Organe, Mitgliedstaaten und Interessenträger, die Ergebnisse des Berichts zu erörtern und einen Dialog über den zivilgesellschaftlichen Raum in der EU zu entwickeln. Insbesondere das Europäische Parlament und der Rat werden aufgefordert, die Ergebnisse des Berichts zu erörtern.

Um diese Debatte zu unterstützen, wird die Kommission einen gezielten Dialog mit den Interessenträgern im Rahmen einer Reihe themenspezifischer Seminare zur Sicherung des zivilgesellschaftlichen Raums einleiten, in deren Mittelpunkt die Frage stehen wird, wie die EU ihre Rolle beim Schutz, der Unterstützung und der Stärkung von Organisationen der Zivilgesellschaft und einschlägigen Einrichtungen weiterentwickeln kann, um die in diesem Bericht aufgezeigten Herausforderungen und Chancen anzugehen. In diesen Seminaren könnten Themen wie der Schutz des digitalen zivilgesellschaftlichen Raums, die Frage, wie die Finanzmittel der EU und der Mitgliedstaaten gezielter zur Unterstützung zivilgesellschaftlicher und staatlicher Einrichtungen eingesetzt werden können, und Möglichkeiten zur Stärkung des zivilgesellschaftlichen Raums und damit unserer demokratischen Widerstandsfähigkeit untersucht werden. Die Ergebnisse dieser Debatte werden 2023 in einem hochrangigen europäischen Rundtischgespräch vorgestellt und erörtert.

Hintergrund

Am 2. Dezember 2020 legte die Europäische Kommission eine Strategie zur Stärkung der Anwendung der Charta der Grundrechte in der EU vor. Diese Strategie enthielt auch die Selbstverpflichtung, Jahresberichte über die Anwendung der Charta mit spezifischen Schwerpunktthemen zu erstellen. Der letztjährige Bericht konzentrierte sich auf die Herausforderungen beim Schutz der Grundrechte im digitalen Zeitalter.  

Im vergangenen Jahr hat die Europäische Kommission auch daran gearbeitet, das Bewusstsein für die Charta selbst zu schärfen. Im Rahmen einer im Jahr 2021 gestarteten Sensibilisierungskampagne wurden mehr als 700 000 Klicks auf die Website der Kampagne gelenkt und Hunderttausende von Videoaufrufen sowie mehrfache Gespräche in den sozialen Medien geteilt. Der Erfolg der Kampagne, die eines der Ziele der Strategie 2020 war, unterstreicht das große Interesse der Europäerinnen und Europäer daran, mehr über ihre Grundrechte zu erfahren und sicherzustellen, dass sie geachtet werden.

Für weitere Informationen

Jahresbericht 2022 über die Anwendung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union Ein florierender zivilgesellschaftlicher Raum für die Wahrung der Grundrechte in der EU

Jahresberichte über die Anwendung der Charta

Strategie für eine verstärkte Anwendung der Grundrechtecharta in der EU (2020)

Website zur Sensibilisierungskampagne

Programm „Bürger, Gleichstellung, Rechte und Werte“

 

Quote(s)

Die Zivilgesellschaft ist eine tragende Säule der europäischen Demokratie. Ihre Verbände sind von entscheidender Bedeutung für die Umsetzung der EU-Politik, auch im Bereich der Grundrechte und für die Stärkung der demokratischen Widerstandsfähigkeit. Wir alle müssen nachhaltige Anstrengungen unternehmen, um sicherzustellen, dass Organisationen der Zivilgesellschaft und Einrichtungen, die sich für Menschenrechte einsetzen, geschützt und unterstützt werden und unter sicheren Rahmenbedingungen arbeiten können. Das anstehende Paket zur „Verteidigung der Demokratie“ wird die Gelegenheit bieten, unsere Maßnahmen im Rahmen des Europäischen Aktionsplans für Demokratie zu überprüfen, unter anderem was die Förderung des zivilgesellschaftlichen Raums und die Bürgerbeteiligung anbelangt.

Věra Jourová, Vizepräsidentin für Werte und Transparenz - 06/12/2022

 

Die Bedeutung einer florierenden Zivilgesellschaft für die Wahrung der Grundrechte in der EU kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sie trägt beispielsweise entscheidend dazu bei, dass sich die Politik für ihr Handeln verantworten muss, was wiederum für den Schutz der Rechtsstaatlichkeit von wesentlicher Bedeutung ist. Es reicht nicht aus, die Existenz zivilgesellschaftlicher Organisationen zu ermöglichen und Stellen zum Menschenrechtsschutz einzurichten, sondern sie müssen auch aktiv unterstützt, angemessen finanziert und in allen politischen Entscheidungsprozessen konsequent konsultiert werden. Wie aus dem Bericht hervorgeht, besteht hier noch Nachholbedarf. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse müssen wir alle unsere Entschlossenheit bekräftigen, die Lage im nächsten Jahr zu verbessern.

Didier Reynders, Kommissar für Justiz - 06/12/2022

Einzelheiten

Datum der Veröffentlichung
6. Dezember 2022
Autor
Vertretung in Luxembourg