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Vertretung in Luxemburg
Presseartikel28. September 2022Vertretung in LuxembourgLesedauer: 9 Min

Mindesteinkommen: wirksamere Unterstützung zur Armutsbekämpfung und Beschäftigungsförderung nötig

Die Kommission fordert die Mitgliedstaaten heute auf, ihre Mindesteinkommensregelungen im Rahmen der laufenden Zusage zur Verringerung von Armut und sozialer Ausgrenzung in Europa zu modernisieren.

Read-out of the weekly meeting of the von der Leyen Commission by Valdis Dombrovskis, Executive Vice-President of the European Commission, and Nicolas Schmit, European Commissioner, on an adequate minimum income and protecting people from asbestos

Die Kommission fordert die Mitgliedstaaten heute auf, ihre Mindesteinkommensregelungen im Rahmen der laufenden Zusage zur Verringerung von Armut und sozialer Ausgrenzung in Europa zu modernisieren. In dem Vorschlag für eine Ratsempfehlung für ein angemessenes Mindesteinkommen zur Gewährleistung einer aktiven Inklusion wird dargelegt, wie die Mitgliedstaaten ihre Mindesteinkommensregelungen modernisieren können, um sie wirksamer zu gestalten, um Menschen aus der Armut herauszuführen und gleichzeitig die Arbeitsmarktintegration derjenigen zu fördern, die arbeiten können.

Mindesteinkommensleistungen sind Barzahlungen, die bedürftige Haushalte dabei unterstützen, die Lücke zu einem bestimmten Einkommensniveau zu überbrücken, damit sie ihre Rechnungen bezahlen und ein Leben in Würde führen können. In Zeiten eines wirtschaftlichen Abschwungs sind sie besonders wichtig, da sie die Einkommensverluste der Bedürftigsten abfedern helfen und so zu nachhaltigem und inklusivem Wachstum beitragen. Sie werden im Allgemeinen durch Sachleistungen ergänzt, die den Zugang zu Dienstleistungen ermöglichen, sowie durch gezielte Anreize für den Zugang zum Arbeitsmarkt. Mindesteinkommensregelungen sind mithin kein passives Instrument, sondern dienen als Sprungbrett, um Inklusion und Beschäftigungsaussichten zu verbessern. Gut konzipierte Mindesteinkommensregelungen sorgen für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Armutslinderung, Schaffung von Arbeitsanreizen und nachhaltiger Haushaltsführung.

Mindesteinkommen und soziale Sicherheitsnetze müssen ausreichende Anreize und Unterstützung für arbeitsfähige Begünstigte zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt umfassen. Mit ihrer Ausgestaltung sollten sie auch einen Beitrag zur vollen Nutzung des Potenzials des ökologischen und des digitalen Wandels leisten, indem Arbeitsmarktübergänge und eine aktive Teilhabe benachteiligter Menschen unterstützt werden.

Die sozialen und wirtschaftlichen Vorteile angemessener und gezielter sozialer Sicherheitsnetze wurden während der Ausgangsbeschränkungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie noch wichtiger. Ein angemessenes Mindesteinkommen ist auch vor dem Hintergrund der steigenden Energiepreise und der Inflation infolge der Invasion der Ukraine durch Russland von größter Bedeutung, da einkommensbezogene Maßnahmen gezielt auf schutzbedürftige Gruppen ausgerichtet werden können.

Der Vorschlag wird dazu beitragen, die im Aktionsplan zur europäischen Säule sozialer Rechte festgelegten sozialen Ziele der EU bis 2030 zu erreichen, nämlich die Zahl der von Armut oder Ausgrenzung bedrohten Menschen um mindestens 15 Millionen zu verringern. Er wird den Mitgliedstaaten auch bei der Umsetzung des Ziels helfen, dass mindestens 78 % der Bevölkerung im Alter von 20 bis 64 Jahren erwerbstätig sein sollten.

Exekutiv-Vizepräsident Valdis Dombrovskis‚ zuständig für das Ressort „Eine Wirtschaft im Dienste der Menschen“, sagte: „Die Sozialschutzsysteme tragen dazu bei, soziale Ungleichheiten und Unterschiede zu verringern. Sie gewährleisten ein menschenwürdiges Leben für diejenigen, die nicht arbeiten können, und ermutigen die Arbeitsfähigen, wieder einen Arbeitsplatz zu finden. In einer Zeit, in der viele Menschen Schwierigkeiten haben, über die Runden zu kommen, wird es in diesem Herbst wichtig sein, dass die Mitgliedstaaten ihre sozialen Sicherheitsnetze mit einem Ansatz der aktiven Inklusion modernisieren, um den Bedürftigsten zu helfen. So können wir Armut und soziale Ausgrenzung bekämpfen und mehr Menschen in dieser schwierigen Zeit zu einem Arbeitsplatz verhelfen.

Nicolas Schmit, EU-Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte, sagte: „Mehr als jeder fünfte Mensch in der EU ist heute von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. In allen Mitgliedstaaten gibt es Mindesteinkommensregelungen, aber Analysen zeigen, dass sie nicht immer angemessen sind, nicht immer alle Bedürftigen erreichen oder Menschen zur Rückkehr in den Arbeitsmarkt motivieren. Vor dem Hintergrund rasant steigender Lebenshaltungskosten und allgemeiner Unsicherheit müssen wir dafür sorgen, dass unsere Sicherheitsnetze ihrer Aufgabe gerecht werden. Wir sollten besonders bemüht sein, junge Menschen wieder in den Arbeitsmarkt zu bringen, auch durch Einkommensunterstützung, damit sie nicht in einen Teufelskreis der Ausgrenzung geraten.“

Gut konzipierte soziale Sicherheitsnetze zur Unterstützung bedürftiger Menschen

Zwar gibt es in allen Mitgliedstaaten Mindesteinkommensleistungen, doch sind ihre Angemessenheit, Reichweite und Wirksamkeit bei der Unterstützung der Menschen sehr unterschiedlich.

Der heute vorgelegte Vorschlag für eine Empfehlung des Rates enthält klare Leitlinien für die Mitgliedstaaten, wie sie sicherstellen können, dass ihre Mindesteinkommensregelungen bei der Bekämpfung von Armut und der Förderung aktiver Inklusion in der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt wirksam sind.

Den Mitgliedstaaten wird Folgendes empfohlen:

  • Verbesserung der Angemessenheit der Einkommensunterstützung:
  • Festlegung der Höhe der Einkommensunterstützung durch eine transparente und solide Methode.
  • Unter Wahrung von Arbeitsanreizen sollte sichergestellt werden, dass die Einkommensunterstützung Schritt für Schritt eine Reihe von Angemessenheitskriterien vorsieht. Die Mitgliedstaaten sollten bis spätestens Ende 2030 ein angemessenes Niveau der Einkommensunterstützung erreichen und gleichzeitig die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen wahren.
  • Jährliche Überprüfung und erforderlichenfalls Anpassung der Höhe der Einkommensunterstützung.
  • Verbesserung von Reichweite und Inanspruchnahme des Mindesteinkommens:
  • Die Anspruchsvoraussetzungen sollten transparent und nichtdiskriminierend sein. Um beispielsweise die Gleichstellung der Geschlechter und die wirtschaftliche Unabhängigkeit, insbesondere für Frauen und junge Erwachsene, zu fördern, sollten die Mitgliedstaaten den Erhalt von Einkommensbeihilfen pro Person statt pro Haushalt ermöglichen, ohne notwendigerweise das Gesamtniveau der Leistungen pro Haushalt zu erhöhen. Darüber hinaus sind weitere Maßnahmen erforderlich, um sicherzustellen, dass Alleinerziehende – überwiegend Frauen – Mindesteinkommensleistungen in Anspruch nehmen.
  • Antragsverfahren sollten zugänglich und einfach sein und von benutzerfreundlichen Informationen begleitet werden.
  • Der Entscheid über einen Antrag auf Mindesteinkommen sollte innerhalb von 30 Tagen nach Antragseinreichung ergehen, wobei die Möglichkeit einer Überprüfung des Entscheids vorzusehen ist.
  • Mindesteinkommensregelungen sollten die Möglichkeit vorsehen, auf sozioökonomische Krisen zu reagieren, beispielsweise durch das Einräumen von mehr Flexibilität in Bezug auf die Anspruchsberechtigung.
  • Verbesserung des Zugangs zu inklusiven Arbeitsmärkten:
  • Aktivierungsmaßnahmen sollten ausreichende Anreize für den (Wieder-)Einstieg in den Arbeitsmarkt bieten, wobei besonderes Augenmerk auf die Unterstützung junger Erwachsener gelegt werden sollte.
  • Mindesteinkommensregelungen sollten Menschen dabei helfen, einen Arbeitsplatz zu finden und zu behalten, etwa durch Maßnahmen der inklusiven allgemeinen und beruflichen Bildung sowie durch Mentoring und Unterstützungsangebote vor bzw. nach der Stellenvermittlung.  
  • Es sollte für kürzere Zeiträume möglich sein, Einkommensbeihilfen mit Arbeitseinkünften zu kombinieren, z. B. während Probezeiten oder Praktika.
  • Verbesserung des Zugangs zu unterstützenden und grundlegenden Dienstleistungen:
  • Die Begünstigten sollten effektiven Zugang zu hochwertigen unterstützenden Dienstleistungen wie Gesundheitsversorgung, Aus- und Weiterbildung haben. Dienstleistungen der sozialen Inklusion wie Beratung und Coaching sollten Bedürftigen zur Verfügung stehen.
  •  Darüber hinaus sollten die Begünstigten ununterbrochen effektiven Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie Energieversorgung haben.
  • Förderung individueller Unterstützung:
  • Die Mitgliedstaaten sollten eine individuelle, multidimensionale Bedarfsanalyse durchführen, um die Hindernisse, mit denen die Begünstigten im Hinblick auf soziale Inklusion und/oder Beschäftigung konfrontiert sind, sowie die für ihre Überwindung erforderliche Unterstützung zu ermitteln.
  • Auf dieser Grundlage sollten die Begünstigten spätestens drei Monate nach Beginn des Bezugs von Mindesteinkommensleistungen einen Inklusionsplan erhalten, in dem gemeinsame Ziele, ein Zeitplan und ein maßgeschneidertes Unterstützungspaket festgelegt sind.
  • Steigerung der Wirksamkeit der Verwaltung der sozialen Sicherheitsnetze auf EU-Ebene und auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene sowie der Überwachungs- und Berichterstattungsmechanismen.

Es stehen EU-Mittel zur Verfügung, um die Mitgliedstaaten bei der Verbesserung ihrer Mindesteinkommensregelungen und ihrer sozialen Infrastruktur im Wege von Reformen und Investitionen zu unterstützen.

Bessere Folgenabschätzungen für faire politische Maßnahmen

Die Kommission legt heute auch eine Mitteilung über eine bessere Abschätzung der Verteilungsfolgen von Reformen der Mitgliedstaaten vor. Darin sind Orientierungshilfen für eine bessere und transparente Ausrichtung der politischen Maßnahmen enthalten, wobei sichergestellt werden soll, dass ein Beitrag zum Abbau bestehender Ungleichheiten geleistet wird und die Auswirkungen auf verschiedene geografische Gebiete und Bevölkerungsgruppen, wie Frauen, Kinder und Haushalte mit niedrigem Einkommen, Berücksichtigung finden. Die Mitteilung enthält Leitlinien zu bestimmten Politikbereichen, zu Instrumenten, Indikatoren und Daten sowie zu den Aspekten Zeitplanung und Verbreitung der Folgenabschätzung. Die Leitlinien sind für die Mitgliedstaaten auch bei der Gestaltung ihrer Mindesteinkommensregelungen von Bedeutung.

Nächste Schritte

Der Vorschlag der Kommission für eine Empfehlung des Rates für ein angemessenes Mindesteinkommen zur Gewährleistung einer aktiven Inklusion wird nun von den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Annahme durch den Rat erörtert. Nach der Annahme sollten die Mitgliedstaaten der Kommission alle drei Jahre über ihre Fortschritte bei der Umsetzung Bericht erstatten. Ferner wird die Kommission die Umsetzung dieser Empfehlung im Rahmen des Europäischen Semesters verfolgen. Das vorgeschlagene Instrument – eine Empfehlung des Rates – räumt den Mitgliedstaaten genügend Spielraum ein, um zu bestimmen, wie die Ziele dieser Initiative unter Berücksichtigung ihrer besonderen Umstände am besten erreicht werden können.

Hintergrund

94,5 Millionen Menschen waren 2021 in der EU von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht – das ist mehr als jeder Fünfte. Soziale Sicherheitsnetze spielen eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, diese Menschen zu unterstützen und ihnen, sofern möglich, beim (Wieder-)Einstieg in den Arbeitsmarkt zu helfen. Es bedarf jedoch wirksamerer Sozialschutzsysteme, denn etwa 20 % der von Armut bedrohten Arbeitslosen haben keinen Anspruch auf Einkommensunterstützung und Schätzungen zufolge nehmen etwa 30 % bis 50 % der anspruchsberechtigten Personen keine Mindesteinkommensunterstützung in Anspruch. 

Die europäische Säule sozialer Rechte bezieht sich in ihrem Grundsatz 14 auf das Recht auf angemessene Mindesteinkommensleistungen. Um soziale Inklusion und Beschäftigung zu fördern und sicherzustellen, dass niemand zurückgelassen wird, hat die Kommission zahlreiche zusätzliche Initiativen vorgelegt, die den heute vorgelegten Vorschlag ergänzen. Dazu gehören der Vorschlag für eine Richtlinie über angemessene Mindestlöhne, mit der sichergestellt werden soll, dass durch Arbeit ein angemessener Lebensstandard ermöglicht wird, die Europäische Garantie für Kinder, durch die diese einen freien und wirksamen Zugang zu wichtigen Dienstleistungen erhalten sollen, und die Europäische Strategie für Pflege und Betreuung zur Verbesserung der Situation insbesondere von Frauen und Menschen in der Pflegebranche. Die Empfehlung der Kommission für eine wirksame aktive Beschäftigungsförderung (EASE) bietet Orientierungshilfen für aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, einschließlich Weiterbildung und Umschulung. In der Empfehlung des Rates zur Sicherstellung eines gerechten Übergangs zur Klimaneutralität werden spezifische Leitlinien für die Umsetzung von Maßnahmen für einen gerechten Übergang unter besonderer Berücksichtigung schutzbedürftiger Haushalte festgelegt. Schließlich zielt der Vorschlag der Kommission für eine Verordnung über Notfallmaßnahmen als Reaktion auf die hohen Energiepreise darauf ab, den dramatischen Anstieg der Energiepreise zu bewältigen, indem der Verbrauch gesenkt und die außerordentlichen Gewinne der Energieerzeuger mit denjenigen geteilt werden, die am meisten Hilfe benötigen.

Weitere Informationen

Vorschlag für eine Empfehlung des Rates für ein angemessenes Mindesteinkommen zur Gewährleistung einer aktiven Inklusion

Mitteilung über eine bessere Abschätzung der Verteilungsfolgen von Reformen der Mitgliedstaaten

Fragen und Antworten: angemessenes Mindesteinkommen

Informationsblatt: angemessenes Mindesteinkommen

Einzelheiten

Datum der Veröffentlichung
28. September 2022
Autor
Vertretung in Luxembourg