
Guten Tag allerseits.
Am Dienstag vor 100 Tagen hat das Kommissionskollegium seine Arbeit aufgenommen. Diese 100 Tage seit dem 1. Dezember fühlen sich an wie eine Ewigkeit. Die Welt um uns herum verändert sich mit atemberaubender Geschwindigkeit. Geopolitische Veränderungen erschüttern Bündnisse. Die Sicherheit von Jahrzehnten bröckelt dahin. Und ein brutaler Krieg tobt nach wie vor an unseren Grenzen. Trotz dieser turbulenten Zeiten hat sich diese Kommission sofort mit voller Kraft an die Arbeit gemacht. Vom ersten Tag an haben wir den Kurs gehalten, den wir in den politischen Leitlinien gesetzt haben. Dabei bauen wir auf drei Säulen auf: Wohlstand, Sicherheit und Demokratie. Auch 100 Tage nach Beginn unseres Mandats stehen wir zu den Weichenstellungen für Europa in den politischen Leitlinien. Und wir erhöhen den Einsatz. Wir haben den ersten Kommissar für Verteidigung überhaupt ernannt – jetzt, drei Monate nach dieser Entscheidung, erweist sich diese nicht nur als notwendig, sondern als richtiger Schritt zur richtigen Zeit. Denn wir sind ohne Zweifel in eine neue Ära des erbitterten geostrategischen Wettbewerbs eingetreten. Wir sehen, dass sich einige von der Außenwelt abgekoppelt haben, Unsicherheit verbreiten und kurzfristige Gewinne anstreben. Ich möchte klarmachen, dass Europa offen bleiben und für Partnerschaft und eine Politik der ausgestreckten Hand stehen wird. Und wir bieten Stabilität und Berechenbarkeit – wertvolle Eigenschaften in diesen Zeiten.
Vom ersten Tag an haben wir uns dafür eingesetzt, neue Partnerschaften aufzubauen und alte zu stärken. Mit Ländern und mit Regionen, groß und klein. Wir haben wegweisende Abkommen geschlossen – mit der Schweiz, Mexiko und dem Mercosur. Mit dem Mercosur haben wir nach zwei Jahrzehnten Verhandlungen einen großen Durchbruch erzielt und einen Markt mit 700 Millionen Verbraucherinnen und Verbrauchern geschaffen. Gleichzeitig haben wir gefährdete Sektoren geschützt. Wir haben die Handelsgespräche mit Malaysia wieder aufgenommen und sind wieder mit den Caricom-Ländern in den Dialog getreten. Und in Indien – der weltweit größten Demokratie – wo ich letzte Woche mit dem Kollegium der Kommissionsmitglieder zu Besuch weilte, haben wir die Zusammenarbeit in den Bereichen Handel, Technologie und Innovation vertieft. Ich habe mit Ministerpräsident Modi vereinbart, den Abschluss des Freihandelsabkommens noch in diesem Jahr anzustreben. Für mich ist es unverzichtbar, diese Partnerschaften aufzubauen. Denn wir haben am eigenen Leib erfahren müssen, dass wir die Produkte, die wir brauchen, am besten von Partnern beziehen sollten, denen wir vertrauen, wenn wir übermäßige Abhängigkeiten, Schwachstellen und Erpressung vermeiden wollen. Und so lassen sich dann natürlich auch am erfolgreichsten starke Volkswirtschaften aufbauen.
All diese Arbeit – für Wohlstand, Sicherheit und Demokratie – beginnt zu Hause. Lassen Sie uns daher einen Blick darauf werfen, was wir „in den eigenen vier Wänden“ getan haben. Zunächst zum Thema Wohlstand. Seit Beginn unserer Amtszeit haben wir acht Initiativen eingeleitet, die Europa wettbewerbsfähiger machen werden. Drei weitere sind in Vorbereitung. Wir haben den Kompass für Wettbewerbsfähigkeit vorgestellt. Mit ihm setzen wir den Draghi-Bericht in eine Mitteilung der Kommission um, die uns den Weg nach vorn vorgibt – unser Leitstern für ein stärkeres, wohlhabenderes Europa. Er geht Hand in Hand mit dem Deal für eine saubere Industrie zur die Förderung energieintensiver Industriezweige und von Clean tech – ein gemeinsamer Fahrplan für Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit. An dem Tag, an dem wir uns im Kollegium auf den Deal für eine saubere Industrie geeinigt haben, habe ich ihn auch auf dem Gipfeltreffen in Antwerpen mit der europäischen Industrie erörtert. Parallel dazu fokussieren wir uns auf Wirtschaftszweige, die für die industrielle Basis Europas unerlässlich sind und die derzeit die größten Veränderungen durchlaufen. Daher habe ich mich direkt mit dem Agrarsektor ins Benehmen gesetzt – und jetzt haben wir die Vision für Landwirtschaft und Ernährung. Ich bin direkt mit der Automobilindustrie in den strategischen Dialog für die Automobilindustrie eingestiegen, der in den Aktionsplan gemündet hat. Und wir haben den Dialog mit der Stahlindustrie aufgenommen. Der Aktionsplan für Stahl wird demnächst folgen, ebenso weitere strategische Dialoge. Gleichzeit bauen wir viel Bürokratie ab. Unsere ersten beiden Omnibus-Vorschläge sind Ihnen bekannt. Und nicht zuletzt habe ich diese Woche einen neuen Pakt für den europäischen sozialen Dialog unterzeichnet, und wir haben die Union der Kompetenzen vorgeschlagen. Denn die soziale Marktwirtschaft ist die Keimzelle des Wohlstands der europäischen Wirtschaft.
In all diesen Bereichen war die Fahrtrichtung immer klar. Neu ist in diesen 100 Tagen hingegen das Bewusstsein der Dringlichkeit. Denn es hat sich ein grundlegender Wandel vollzogen. Unsere europäischen Werte – Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit – sind in Gefahr. Wir sehen, dass Souveränität, aber auch für unverrückbar gehaltene Verpflichtungen infrage gestellt werden. Alles ist transaktionell geworden. Das Tempo des Wandels hat sich beschleunigt, und wir müssen mutig und entschlossen handeln.
Folglich war die Unterstützung für REARM Europe, ein Verteidigungspaket in Höhe von 800 Mrd. EUR, diese Woche einstimmig. Das ist historisch. Dies kann die Grundlage für eine Europäische Verteidigungsunion sein. Wir werden nun den REARM-Europe-Plan mit voller Kraft vorantreiben. Die Idee dahinter: Angesichts konkreter Bedrohungen müssen wir das gesamte Potenzial ausschöpfen. Das Potenzial ist sogar noch größer, wenn wir mit anderen gleichgesinnten Ländern wie Großbritannien, Norwegen oder Kanada kooperieren.
Es ist wichtig, festzuhalten, dass die Wirtschaftskraft und der REARM-Europe-Plan zwei Seiten derselben Medaille sind. Das wirtschaftliche und innovative Potenzial Europas ist ein Trumpf für seine Sicherheit. Umgekehrt können durch die Verteidigungsbemühungen Europas mittel- und langfristig massive Impulse für einen wettbewerbsfähigeren Binnenmarkt gesetzt werden. Die enormen bevorstehenden Investitionen in die nächste Generation militärischer Ausrüstung und Sicherheitsinfrastruktur in Europa können wichtige Industriezweige voranbringen. Denken Sie nur an die beschleunigte Digitalisierung und Modernisierung unserer Verkehrsnetze. Denken Sie an KI-Anwendungen, Quantencomputer und sichere Kommunikation. Denken Sie an Schlüsseltechnologien wie Satellitennetze, autonome Fahrzeuge und Robotik. All dies ist wichtig für die Verteidigung Europas, aber ebenso wichtig für seine Wettbewerbsfähigkeit. KMU in der gesamten Union – von denen 2 500 Teil der Lieferkette für Verteidigungsgüter sind – werden im Mittelpunkt dieses Wandels stehen.
Um erfolgreich zu sein, müssen wir mehr private Investitionen einbeziehen und diese beschleunigen. Wir werden weitere Omnibus-Pakete vorschlagen, um die Vorschriften zu vereinfachen und Bürokratie abzubauen – auch im Verteidigungssektor. Und noch in diesem Monat werden wir die Europäische Spar- und Investitionsunion vorstellen – denn nur mit einem effektiven, tiefen und liquiden Kapitalmarkt können aus Ersparnissen dringend benötigte Investitionen werden. Fortschritt hier ist kein Luxus mehr, sondern eine Notwendigkeit. In der heutigen Welt ist die Aufrechterhaltung Europas als wirtschaftliches Kraftzentrum auch eine Frage der kollektiven Sicherheit.
Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Das gilt auch für die Kommission. Um kommende Herausforderungen zu bewältigen, müssen wir unsere Mentalität ändern und uns aktiv vorbereiten. Daher werde ich in den nächsten Wochen das allererste Sicherheitskolleg einberufen. So wird sichergestellt, dass die Mitglieder des Kollegiums regelmäßig über die Entwicklungen im Bereich der Sicherheit informiert werden. Von der äußeren und inneren Sicherheit bis hin zu Energie, Verteidigung und Forschung. Von Cybersicherheit über Handel bis hin zu ausländischer Einflussnahme. Nur wenn wir ein klares und eingehendes Verständnis der Bedrohungen, auch der hybriden Bedrohungen, haben, können wir effektiv zur kollektiven Sicherheit beitragen.
Alles, was wir in den ersten 100 Tagen getan haben, konzentrierte sich auf unsere größten Herausforderungen. Und wir werden so weitermachen. Am Dienstag, dem 100. Tag dieses Kollegiums, werden wir einen ambitionierten Legislativvorschlag zur Rückführung annehmen. Rückführungen sind ein Schlüsselelement des Migrations- und Asylpakets. Wir werden gemeinsame Rückführungsvorschriften vorschlagen. Dazu gehören eine neue Europäische Rückkehranordnung und die gegenseitige Anerkennung von Rückkehrentscheidungen durch die Mitgliedstaaten. Wir wollen ein wahrhaft europäisches Rückführungssystem schaffen, indem wir eine Verordnung mit einfacheren und klareren Regeln vorschlagen, mit der ein Untertauchen verhindert und die Rückführung von Drittstaatsangehörigen ohne Aufenthaltsrecht erleichtert wird. Gegen diejenigen, die zwangsweise zurückgeführt werden, wird ein Einreiseverbot verhängt. Und wenn Sicherheitsrisiken bestehen, werden wir strenger sein. Wir werden geltendes Recht konsequent durchsetzen, aber wir werden auch sicherstellen, dass wir unsere Verpflichtungen aus dem Völkerrecht und den Grundrechten in vollem Umfang einhalten.
Kurzum: Die Kommission ist gewappnet, die heutigen Krisen zu bewältigen. Wir müssen schnell sein, Augenmaß unter Beweis stellen und entschieden handeln. Wir haben die einmalige Chance, ein Europa aufzubauen, das stärker, sicherer und wohlhabender ist. Wir müssen diesen Moment nutzen, denn es ist der Moment Europas.
Einzelheiten
- Datum der Veröffentlichung
- 10. März 2025
- Autor
- Vertretung in Luxembourg