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Vertretung in Luxemburg
Presseartikel9. November 2022Vertretung in LuxembourgLesedauer: 8 Min

Ein wirtschaftspolitischer Steuerungsrahmen, der den anstehenden Herausforderungen gerecht wird

Die Europäische Kommission hat heute eine Mitteilung mit Orientierungen für einen reformierten wirtschaftspolitischen Steuerungsrahmen der EU angenommen. 

Press conference by Valdis Dombrovskis, Executive Vice-President of the European Commission, and Paolo Gentiloni, European Commissioner, on the Economic Governance Review

Die Europäische Kommission hat heute eine Mitteilung mit Orientierungen für einen reformierten wirtschaftspolitischen Steuerungsrahmen der EU angenommen. Diese tragen den Hauptkritikpunkten beim derzeitigen Rahmen Rechnung und zielen darauf ab, die Schuldentragfähigkeit zu stärken und durch Investitionen und Reformen ein nachhaltiges und integratives Wachstum zu fördern.

Die Orientierungen sollen sicherstellen, dass der Rahmen einfacher, transparenter und wirksamer wird. Die nationale Eigenverantwortung soll gestärkt und die Durchsetzung verbessert werden, während gleichzeitig Reformen und Investitionen ermöglicht und hohe öffentliche Schuldenquoten realistisch, schrittweise und nachhaltig gesenkt werden. Auf diese Weise dürfte der reformierte Rahmen dazu beitragen, die grüne, digitale und widerstandsfähige Wirtschaft der Zukunft zu bauen und gleichzeitig die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen in allen Mitgliedstaaten sicherzustellen, wie es Präsidentin von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Union 2022 gefordert hatte. Der heutigen Mitteilung ist ein ausführlicher Austausch mit den Interessenträgern und Mitgliedstaaten vorausgegangen.

Nationale Pläne für Schuldentragfähigkeit und nachhaltiges Wachstum, die in einem gemeinsamen EU-Rahmen verankert sind

Vorgeschlagen wird ein transparenter risikobasierter EU-Überwachungsrahmen, der je nach den Herausforderungen bei der öffentlichen Verschuldung zwischen den Ländern differenziert. Eckpfeiler des von der Kommission vorgeschlagenen Rahmens sind die nationalen Pläne, in denen die Mitgliedstaaten ihre mittelfristig geplanten strukturellen finanzpolitischen Maßnahmen darlegen. In diesen Plänen würden die Haushalts-, Reform- und Investitionsziele, gegebenenfalls auch die Ziele für die Behebung makroökonomischer Ungleichgewichte, in einem einzigen mittelfristigen Gesamtplan zusammengeführt, womit ein stimmiges und schlankes Verfahren geschaffen würde. Die Mitgliedstaaten hätten mehr Spielraum, ihren haushaltspolitischen Anpassungspfad festzulegen, womit die nationale Eigenverantwortung für die haushaltspolitischen Pfade gestärkt würde.

Basis für die Festlegung des haushaltspolitischen Anpassungspfads und die jährliche haushaltspolitische Überwachung wäre ein einziger operativer Indikator – die Nettoprimärausgaben, d. h. die Ausgaben, die eine Regierung selbst in der Hand hat. Damit würde der Rahmen erheblich vereinfacht.

Wie es funktionieren soll:

  • Innerhalb des gemeinsamen EU-Rahmens würde die Kommission einen Referenzpfad für die haushaltspolitische Anpassung vorgeben, der sich auf einen Zeitraum von vier Jahren erstrecken und anhand der Methode zur Analyse der Schuldentragfähigkeit ermittelt würde. Dieser Referenzanpassungspfad sollte sicherstellen, dass der Schuldenstand bei Mitgliedstaaten mit erheblichen oder mittleren Schuldenherausforderungen auf einen plausiblen Abwärtspfad gebracht und das Defizit glaubhaft unter dem im Vertrag festgelegten Referenzwert von 3 % des BIP gehalten wird.
  • Anschließend würden die Mitgliedstaaten Pläne vorlegen, in denen sie ihren mittelfristigen haushaltspolitischen Pfad sowie ihre Verpflichtungen auf vorrangige Reformen und öffentliche Investitionen darlegen. Die Mitgliedstaaten könnten einen längeren Anpassungszeitraum vorschlagen und den haushaltspolitischen Anpassungspfad um bis zu drei Jahre verlängern, wenn dies durch Reform- und Investitionszusagen untermauert wird, die die Schuldentragfähigkeit erhöhen und den gemeinsamen Prioritäten und Zielen der EU entsprechen.
  • In einem dritten Schritt würde die Kommission die Pläne bewerten. Eine positive Bewertung würde dann abgegeben, wenn der Schuldstand auf einen Abwärtspfad gebracht oder auf einem dem Vorsichtsgebot entsprechenden Niveau gehalten wird und das Haushaltsdefizit mittelfristig glaubhaft unter dem Referenzwert von 3 % des BIP bleibt. Nach einer positiven Bewertung durch die Kommission würde der Rat die Pläne billigen.
  • Schließlich würde die Kommission die Umsetzung der Pläne kontinuierlich überwachen. Die Mitgliedstaaten würden jährliche Fortschrittsberichte über die Umsetzung der Pläne vorlegen, um eine wirksame Überwachung zu erleichtern und Transparenz zu gewährleisten.

Den Mitgliedstaaten würde mehr Spielraum bei der Gestaltung ihres haushaltspolitischen Kurses zugestanden. Zugleich führen wir auch strengere EU-Durchsetzungsinstrumente ein, um die Umsetzung sicherzustellen. Das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit (Defizitverfahren) würde mit Blick auf das Defizit beibehalten und mit Blick auf den Schuldenstand verschärft. Das Verfahren würde greifen, wenn ein Mitgliedstaat mit einem Schuldenstand von über 60 % des BIP vom vereinbarten Ausgabenpfad abweicht.

Die Durchsetzungsmechanismen würden verstärkt: Der Einsatz von finanziellen Sanktionen würde effektiver, indem ihre Höhe abgesenkt würde. Außerdem würden die über die Reputation wirkenden Sanktionen verschärft. Die makroökonomische Konditionalität bei den Strukturfonds und der Aufbau- und Resilienzfazilität würde ebenfalls in diesem Sinne angewandt, d. h. die EU-Finanzierung könnte ebenfalls ausgesetzt werden, wenn Mitgliedstaaten keine wirksamen Maßnahmen zur Korrektur ihres übermäßigen Defizits ergreifen.

Darüber hinaus würde ein neues Instrument dafür sorgen, dass die Reform- und Investitionszusagen, die einen längeren Anpassungspfad untermauern, auch eingelöst werden. Werden Reform- und Investitionsverpflichtungen nicht eingehalten, könnte dies einen restriktiveren Anpassungspfad und – bei den Euroraum-Mitgliedstaaten – finanzielle Sanktionen zur Folge haben.

Schädliche Ungleichgewichte wirksamer verhindern und korrigieren

Das Verfahren bei einem makroökonomischen Ungleichgewicht soll dafür sorgen, dass potenzielle makroökonomische Risiken frühzeitig erkannt, schädliche makroökonomische Ungleichgewichte verhindert und bereits bestehende Ungleichgewichte behoben werden. Die Reformvorschläge für dieses Verfahren setzen auf einen verstärkten Dialog zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten, um zu einem besseren gemeinsamen Verständnis der bestehenden Herausforderungen und der erforderlichen Gegenmaßnahmen zu gelangen. Als Ergebnis dieses Dialogs würden sich die Mitgliedstaaten verpflichten, die zur Vermeidung oder Korrektur von Ungleichgewichten erforderlichen Reformen und Investitionen in ihre mittelfristigen nationalen Pläne für strukturelle finanzpolitische Maßnahmen aufzunehmen.

Die Präventivfunktion des Verfahrens bei einem übermäßigen Ungleichgewicht würde in einem durch neue und sich wandelnde Risiken gekennzeichneten makroökonomischen Umfeld gestärkt. Die Bewertung, ob Ungleichgewichte vorliegen, würde in stärkerem Maße vorausschauend gestaltet, damit aufkommende Ungleichgewichte frühzeitig erkannt und angegangen werden können. Bei der Bewertung, ob Ungleichgewichte korrigiert wurden, würde das Augenmerk stärker auf Trendentwicklungen und darauf gerichtet, ob Maßnahmen gegen die Ungleichgewichte umgesetzt wurden.

Ein fokussierterer und schlankerer Rahmen für die Überwachung nach Abschluss von Anpassungsprogrammen

Bei der Überwachung nach Abschluss von Anpassungsprogrammen wird bewertet, inwieweit Empfängermitgliedstaaten von Finanzhilfeprogrammen in der Lage sind, die Hilfen zurückzuzahlen. Mit dem neuen Rahmen schlägt die Kommission unter Beibehaltung des bestehenden Rechtstextes vor, diesen anders anzuwenden, indem klarere Ziele festgelegt werden, wobei die Intensität des Rahmens von diesen Zielen abhängen soll. So läge der Fokus der Überwachung nach Abschluss eines Anpassungsprogramms insbesondere auf der Bewertung der Rückzahlungskapazität, der Überwachung der Umsetzung noch nicht abgeschlossener Reformen und der Beurteilung, ob im Falle von Bedenken hinsichtlich der Rückzahlungskapazität oder des fortgesetzten Marktzugangs Korrekturmaßnahmen erforderlich sind.

Die Intensität der Überwachung nach Abschluss eines Anpassungsprogramms würde sich im Zeitverlauf entsprechend der Risikobewertung verändern.

Nächste Schritte

In dieser für die EU-Wirtschaft entscheidenden Zeit ist eine rasche Einigung über die Reform der EU-Haushaltsregeln und anderer Aspekte des wirtschaftspolitischen Steuerungsrahmens eine dringende Priorität. Die Mitgliedstaaten und die Kommission sollten noch vor den Haushaltsverfahren der Mitgliedstaaten für das Jahr 2024 zu einer Einigung über die Reform des Rahmens für die wirtschaftspolitische Steuerung gelangen.

Ausgehend von der heutigen Mitteilung und den anschließenden Diskussionen wird die Kommission die Vorlage von Gesetzgebungsvorschlägen erwägen. Im ersten Quartal 2023 wird sie wieder Leitlinien für die Haushaltspolitik im anstehenden Zeitraum vorlegen. Diese Leitlinien werden die haushaltspolitische Koordinierung und die Ausarbeitung der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme der Mitgliedstaaten für 2024 und spätere Jahre erleichtern.

Hintergrund

Seit dem Vertrag von Maastricht von 1992 hat der EU-Rahmen für die wirtschaftspolitische Steuerung dazu beigetragen, die Bedingungen für wirtschaftliche Stabilität, nachhaltiges Wirtschaftswachstum und Beschäftigungswachstum zu schaffen. Dieser Rahmen umfasst den EU-Rahmen für die Haushaltspolitik (den Stabilitäts- und Wachstumspakt, das Europäische Semester und die Anforderungen für die haushaltspolitischen Rahmen der Mitgliedstaaten), das Verfahren bei einem makroökonomischen Ungleichgewicht und den Rahmen für makroökonomische Finanzhilfeprogramme.

Wenngleich dieser Rahmen mit der Zeit weiterentwickelt wurde, um bestimmte Schwächen zu beheben, ist er dabei auch immer komplexer geworden, und nicht alle Instrumente und Verfahren haben sich bewährt.

Die in der Mitteilung enthaltenen Reformvorschläge schließen sich an eine Überprüfung der Wirksamkeit des Rahmens für die wirtschaftspolitische Überwachung an, die im Februar 2020 eingeleitet (und im Oktober 2021 dann wiederaufgenommen) wurde. Die Überprüfung erfolgte gemäß den Rechtsvorschriften, die mit den sogenannten „Six-Pack“- und „Two-Pack“-Reformen eingeführt wurden und vorschreiben, dass die Kommission die Anwendung der Rechtsvorschriften alle fünf Jahre überprüfen und darüber Bericht erstatten muss. Die heutigen Orientierungen tragen dem umfassenden öffentlichen Diskussions- und Konsultationsprozess Rechnung, bei dem sich ein breites Spektrum von Interessenträgern zu den wichtigsten Zielen des Rahmens, seiner Funktionsweise und den neuen Herausforderungen, die angegangen werden müssen, geäußert hat.

Beim Vorschlag der Kommission für einen reformierten Rahmen wurden die Lehren beherzigt, die aus den politischen Antworten auf die jüngsten wirtschaftlichen Schocks und insbesondere auch aus den Wechselwirkungen zwischen den Reformen und Investitionen im Rahmen der Aufbau- und Resilienzfazilität gezogen wurden. Geprägt wurden die Reformvorschläge auch dadurch, dass die Schuldenstände nun höher und unterschiedlicher sind und Investitionen in gemeinsame EU-Prioritäten erleichtert werden müssen, insbesondere um den ökologischen und digitalen Wandel und die Energieversorgungssicherheit in den kommenden Jahren zu gewährleisten.

Weitere Informationen

Fragen und Antworten: Ein wirtschaftspolitischer Steuerungsrahmen, der den anstehenden Herausforderungen gerecht wird

Mitteilung über Orientierungen für eine Reform des EU-Rahmens für die wirtschaftspolitische Steuerung

Pressemitteilung: Kommission nimmt Überprüfung des EU-Rahmens für die wirtschaftspolitische Steuerung wieder auf (Oktober 2021)

Pressemitteilung: Kommission legt Überprüfung des wirtschaftspolitischen Steuerungsrahmens der EU vor – Anstoß zu Debatte über dessen Zukunft (Februar 2020)

Aufbau- und Resilienzfazilität

Das Europäische Semester

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt

Das Verfahren bei einem makroökonomischen Ungleichgewicht

Einzelheiten

Datum der Veröffentlichung
9. November 2022
Autor
Vertretung in Luxembourg